Dr. Rüdiger Gollnick
Erziehungswissenschaftler


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22.03.2017

Fremd im Feindesland, Fremd im Heimatland

Spurensuche 1945 am Niederrhein
Mit über 160 Abbildungen

Unter Mitarbeit von Monika Gollnick

„Einmal sind wir nach Wesel gelaufen. Es war trockenes Wetter, und ich hatte nur Wollstiefel. Andere Schuhe hatte ich nicht. Alle haben auf meine exotischen Schuhe geguckt, und ich schämte mich. Ein Fräulein mit einem kleinen Hundchen hat sich für meine Schuhe interessiert und hat uns angesprochen. Sie fragte uns, wer wir seien und woher wir kämen. Als sie hörte, dass wir aus einem Lager kommen, hat sie uns zu ihrer Tante, die im Stadtzentrum wohnte, gebracht. Die Tante hat für uns Kartoffeln gebraten und süßen Tee gekocht. Wir haben gegessen. Die Frau hat uns Geld und Brotmarken gegeben. Sie schrieb uns auch die Adresse auf und lud uns zu Besuch ein. Dann nahm uns Marihja, so hieß das Fräulein, zu sich nach Hause. Ihr Haus war neben dem Bahnhof, und sie wohnte im 3. oder 4. Stock. (...)“

„Ich erinnere mich nur an das Lager in Dinslaken, da ich in keinem anderen Lager war. In Dinslaken war ich von 1942 bis 1945. Ich habe in einem „heißen Werk“ gearbeitet und habe heiße Bänder, „Stücke von heißem Metall“ geschleppt. Ein Ereignis ist mir unvergesslich geblieben: Ein schon älterer deutscher Mann hat mir eine Karte für ein Brot gegeben. Daraufhin ließen mich die Soldaten der „SS“ (?) vier Tage durch die Fabrik laufen, da ich den Mann finden und anzeigen sollte. Ich habe ihn nicht gefunden, da ich wusste, dass er getötet würde, obwohl ich immer wieder geschlagen wurde. Die Soldaten bat ich, mich zu töten, damit sie mich nicht mehr terrorisieren könnten. (...)“

Ausschnitte aus zwei Briefen, die ukrainische Zwangsarbeiterinnen geschrieben haben, wobei unterschiedliche Erfahrungen geschildert werden. Im Frühjahr 1945 konzentrieren sich am unteren Niederrhein Menschenmassen unvorstellbaren Ausmaßes: Zigtausende Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die sich ihrer Gefangenschaft nach der alliierten Eroberung der links- und rechtsrheinischen Gebiete entledigen und sich in Richtung Heimat oder marodierend in der Region auf der Suche nach Nahrung bewegen, verunsichern die heimische Bevölkerung, wobei es auch zu Überfällen, Raub, Viehschlachtungen und Mord kommt. Im Buch sind ausführlich die Lager oder auch Betriebe jeweils nach den Dörfern und Städten aufgeführt, die „Fremdarbeiter“, wie sie in der NS-Zeit bezeichnet wurden, beschäftigten. Und diese Zahlen sind letztlich nicht vollständig, da es z.B. auch in größeren Familien und Kleinbetrieben Anforderungen und Zuweisungen von Zwangsarbeitern gegeben hat. Das ganze Ausmaß an zwangsdeportierten Menschen am unteren Niederrhein (Kreise Kleve, Wesel) wird über die Zahlen und Nationalitätenangaben deutlich.
Und diese Displaced Persons versuchen die Briten in ihrem Besatzungsgebiet zu sammeln. Eine Strategie ist die Errichtung von Sperrkorridoren längs der Flüsse Rhein, Issel, Ems, Weser und Elbe. Ein großes Sammellager befindet sich in Kevelaer, das als Durchgangslager konzipiert ist. Ein weiteres riesiges DP-Lager ist von den Briten in Haldern (heute Ortsteil von Rees) aufgebaut worden: mit einer Belegungsquote von 12-15.000 DPs. Und wie das Leben im Lager und außerhalb des Lagers vor sich geht, wird durch Zeitzeugenberichte verdeutlicht.

Zu diesen dynamischen Menschenmassen, die sich von Westen nach Osten bewegen, rollen mit den militärischen Operationen nach dem „Sprung über den Rhein“ (23./24. März 1945) die Transporte von hunderttausenden von deutschen Kriegsgefangenen östlich des Rheins in die Lager am linken Niederrhein (z.B. allein ca. 350.000 Soldaten nach der Kapitulation im sog. Ruhrkessel). Sie werden regelrecht abgeladen auf den Feldern und Wiesen in der Rheinebene bei Büderich, Rheinberg und Wickrathberg (Mönchengladbach), die drei Großlager in NRW. Die Amerikaner errichten zudem am Mittelrhein bei Remagen-Sinzig-Andernach und in siebzehn anderen Orten Lager für die Gefangenen, die unter erbärmlichsten Verhältnissen für Wochen oder Monate dahinvegetieren müssen. Die Massen von deutschen Soldaten sollen streng isoliert werden, damit kein Widerstand oder Partisanenkampf aufkeimen kann. In Erlebnisschilderungen und Berichten von ehemaligen Kriegsgefangenen und in vielen Abbildungen über diese „Rhine Meadow Camps“ werden die Zustände und Probleme fassbar gemacht. Darüber hinaus geben ausführliche Stellungnahmen von alliierten Kommandeuren zu den Lagerbedingungen die Situation einprägsam wieder. Immer wieder werden Fluchtversuche unternommen. Eine Flucht von zwei Kriegsgefangenen aus dem Lager Rheinberg sogar über den Rhein kann in Tagebuchnotizen verfolgt werden.

Zudem werden historische Hintergründe und Entwicklungen in der deutschen Wirtschaft der Dreißiger/Vierziger Jahre und die alliierten Überlegungen und Konzeptionen zur Bewältigung der Probleme hinsichtlich der Displaced Persons an Hand von Dokumenten dargestellt.

Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass für eine kurze Zeit Gebiete des heutigen Kreises Kleve Besatzungsgebiet von polnischen Armee-Einheiten waren, die auch bis in den Kreis Wesel und ins Ruhrgebiet agierten. Es wird der Weg von Maczeks Panzerarmee und Sosabowskis Fallschirmjägerbrigade von Breda über Rees bis ins Emsland verfolgt und die Bedeutung dieser Einheiten für die Befreiung der Niederlande und für die Etablierung einer polnischen Besatzungszone (Emsland) skizziert.

In zweieinhalbjähriger Recherchearbeit ist dieses Buch entstanden: mit Interviews mit Zeitzeugen, über Archivstudien in den kommunalen Archiven des unteren Niederrheins und in Zentralarchiven, über eine einwöchige Archivrecherche bei dem International Tracing Service in Bad Arolsen, über eine Woche Studien in Breda (Maczek-Museum), über Netzwerkkontakte in die Niederlande, in die USA, nach Kanada und Australien und natürlich auch über die erschienenen Publikationen zu den einzelnen Themen und Aspekten.

INHALT
Fremd im Feindesland – Fremd im Heimatland
Spurensuche 1945/46 am Niederrhein 7
Erste Annäherungen 7
Erste Spuren 9

Exkurs – Einige unbekannte Aspekte in der Endphase des Krieges 1944/45
Die Lage 21
Polnische Streitkräfte: 1. Polnisches Korps 25
1. Polnische Selbstständige Fallschirmjägerbrigade 26
Nach dem Sprung über den Rhein 31
1. Polnische Panzerdivision 35
Polnische Besatzungsmacht im Emsland 40

Fremd im Feindesland - Arbeitskräfte 44
Wirtschaft und Arbeitskräfte in den Dreißiger/Vierziger Jahren 44
Die Zwangsarbeiter und die Displaced Persons 52
Abklärungen 52
Fluchtbewegungen im Laufe des Rhein-Übergangs 56

Die Geschichte der Zwangsarbeiter 57

SHAEF – UNRRA – IRO 63

Fremd im Feindesland - Die Lager 69
Das „Zwangsarbeiterlager Rees“ 1944/45 69
Flucht vor der Zwangsarbeit – Phänomen der „Onderduikers“ 74
Die Schwerlast der Erinnerung ... in Briefdokumenten 77
... eingebrannt im kindlichen Gedächtnis 80

Zwangsarbeiter-, Arbeits- und Kriegsgefangenenlager 81
am unteren Niederrhein

Fremd im Heimatland – Das Leben mit den DPs
Grundproblem: Kriminalität und asoziales Verhalten 96
Grundproblem: Ernährung und Versorgung 97

Das DP-Lager Haldern in Zeitzeugenberichten 100
In geheimer Mission in Deutschland 1944/45
und im DP-Camp Haldern 100
Das UNRRA-Lager in Haldern im Sommer 1945 104
Erinnerungen eines Neunjährigen – Dr. Werner-Francisco Bär 104
Interview mit Johann Bongardt 113
Interview mit Johann Giesen 114
Erinnerungen von Theodor Seesing 116
Interview mit Johanna Köster 117
Interview mit Ida Giesing 118
Erinnerungen von J.B. 120
Kriegsgefangene auf dem Stuvenberghof – Josef Storm 122
Erinnerungen von Werner Giltjes 124
Erinnerungen von Hermann Bollmann - Russenlager 125

Das DP-Lager in Kevelaer 128

Die DP-Lager in Dinslaken 130
Emma Üffing, Sr. Maria Euthymia 132
Heinrich Theisselmann 133
Hermann Scheipers 134
Der ITS 135
Listen und Vorgänge 137

Monatsreport des Assembly Center Haldern 414 141

Die Managementkonzeption der Alliierten 145
Zweck der Meldung und Registrierung 150

Fremd im Heimatland - Die Rheinwiesenlager 154
Die Explosion der Gefangenenzahl 154
Merkmale der Rheinwiesenlager 156

Das Lager Rheinberg 159
Die Errichtung des Lagers 159
Die „Behausungen“ 161
Die Verpflegung 162
Die Bewachung und Bestrafung 164
Außenkontakte 164
Medizinische Versorgung 165
Tagebuch-Aufzeichnungen von Friedrich Kämper 167
Josef Nowaks Erlebnisschilderungen 175
Guarding Prisoners of War in Germany 179
Colonel Tom Durrant: Time and Chance – A Memoir 184

Das Lager Büderich 189
Bericht des Hauptmanns Wolfgang von Richthofen 193
Schilderungen des Oberstleutnants Kurt Nacken 198
Erinnerungen des Karl van Husen 200
Zwei Lagerkarrieren 202

Das Lager Wickrathberg 202

Das Kriegsgefangenen-Entlasslager Wissen bei Weeze 203
Die wundersame Geschichte des Kurt H. 206

Der Flüchtlingsstrom 208

Eine Geste der Versöhnung – Merrit P. Drucker 211

Abkommen: Genfer Konvention 214
Literatur und Quellenverzeichnis 216
Danksagung 223

Prolog zur Einweihung: Mahnmal des Lagers Büderich 224


erscheint im pagina verlag
Klappenbroschur mit Klebebindung
224 Seiten, Format 17,5 x 24,5
Preis: 19,80 Euro (inkl. 7 % MwSt.)
ISBN 978-3-946509-11-0



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